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Einstiegs-Teaser Atvia 13 – Zu anderen Zeiten -

 

Das Ende.... und der Anfang...

 

„WAS heißt, wir ankern hier? Für wie lange?!“ Der große dunkelhaarige Kaufmann starrte den Kapitän mit zornesrotem Gesicht an und stampfte mit dem Fuß auf die sandgescheuerten Planken des Decks der „Sturmvogel“, ehe er weiter wetterte  „Seid Ihr des Wahnsinns, Mann? Wir sind noch Tage von unserem Zielhafen entfernt! Ich sorge dafür, dass man Euch zur Rechenschaft zieht!“

„Was nutzt mir und Euch die Rechenschaft, wenn wir auf dem Grund des Meeres enden? Klagt ihr mich dann vor den Fischen an? Versteht doch, kein Kapitän würde euch nach einem solchen Vorfall auch nur noch eine Seemeile weit bringen können. Es wäre ein Frevel.... und gefährlich.“

„Aberglaube! Nichts als Aberglaube!“ tönt es aus einer der hinteren Reihen der an Deck der Sturmvogel versammelten bunten Reisegesellschaft, die sich am Fuß des Großmastes um den Kapitän versammelt hatte. „Wenn ihr mir zuhören wollt, werde ich es euch erklären“, damit wies er mit dem abgekauten Stiel seiner alten Pfeife auf die gähnend leere Höhle, die oberhalb seines Kopfes im Großmast wie eine kreisrunde Wunde aufklaffte. „Die Perle wurde gestohlen. Hier seht ihr die Stelle, an der der Dieb sie mit einem Dolch aus dem Mast heraus gehebelt hat. Ein solches Sakrileg ist mir noch nicht untergekommen. Wenn ich sie nicht zurück bekomme, bin ich ruiniert.“

Ein Blick in die Gesichter seiner Zuhörerschaft offenbarte ihm ihr Unverständnis und so ließ er sich niedergeschlagen auf einer dicken Taurolle nieder, eher er fortfuhr. „Kapitänspatente werden in Atvia nur nach sehr gründlicher Prüfung durch den Hohen Rat erteilt. Zu jedem Patent wird, das ist Brauch, eine große Perle vergeben, die ihr bis gestern hier im Mast gesehen habt. Da einige von euch mich bereits darauf angesprochen haben weiß ich, dass ihr sie wohl bemerkt habt.“ Zustimmendes Nicken aus den Reihen der Reisenden begleitete seine Worte. „Jeder Kapitän lässt diese Perle im Tempel unserer Meeresgöttin weihen und fortan beschützt sie, im Mast eingelassen und reich verziert, Schiff und Besatzung vor Stürmen, Klippen, Seeschlangen und Holzbohrwürmern. Ein Schiff, welches ohne seine Perle den Hafen verlässt, wird nie wieder gesehen. Sie ist das Herz und das Glück der Menschen auf See. Und nun ist sie fort.“
Betretenes Schweigen setzte ein, als der Kapitän geendet hatte und nur die heiseren Schreie der Möwen, die die Zweimast-Brigg umkreisten, durchbrachen die Stille.

„Wo befinden wir uns hier eigentlich“, war eine klare helle Frauenstimme aus der Menge der Zuhörerschaft zu vernehmen. Der Kapitän erhob sich und trat an die Reiling. Mit weit ausholender Geste wies er auf die nahegelegene Küste, wo durch den salzigen Nebel der Gischt hindurch, eine zerklüftete Küstenlinie zu erkennen war, an der sich die Wellen brachen. „Wir liegen vor der kleinen Insel Errhon, an der Südwestspitze Atvias. Der nächste Hafen ist Harronthal, den wir in drei Stunden erreicht hätten, wenn wir von hier fortkommen würden.“ Er stützte sich schwer auf die Reiling und ließ den Kopf hängen.

Ein kräftiger Zimmermann, der mit seinem Gehilfen die Passage von den Mittellanden nach Atvia gebucht hatte, trat vor und wies auf den schweren Hammer, den er an seiner Hüfte mit sich trug. „Wenn es hilft, dass die Fahrt weitergehen kann, dann unterhalte ich mich gern mit jedem hier an Bord, ob er die Perle gesehen hat“. Der drohende Unterton in seiner Stimme beendete das einsetzende Gemurmel der Umstehenden abrupt.

„Ich bin nicht gern die Stimme der Vernunft“, ließ sich ein älterer Reisender vernehmen, „aber es ist ja anzunehmen, dass sich die Perle hier an Bord befindet. Suchen wir sie doch einfach, dann kann die Reise endlich weitergehen, oder nicht?“

Mit einem schweren Seufzen wandte der Kapitän sich wieder seinen Passagieren zu. „Wenn das kleine Beiboot am Heck nicht fehlen würde, gäbe ich euch Recht, guter Mann“, er fuhr sich mit der Hand über die müden Augen. „Wir haben heute morgen schon vor Sonnenaufgang unseren Bootsmann mit der verbliebenen größeren Schaluppe an Land gesetzt. Er verfolgt den Dieb zu Fuß über die Insel. Wir glauben zu wissen, wer es war. Doch bis er nicht zurück ist, können wir nicht weiterfahren.“

„Das ist ungeheuerlich!“, ließ sich abermals der gut gekleidete Kaufmann vernehmen, „wir können doch hier nicht tagelang festgehalten werden bis euer Bootsmann mit dem Dieb, der Perle oder mit leeren Händen zurückkommt! Dieses Missgeschick tut mir für Euch wirklich leid, doch ich habe Geschäfte zu erledigen die keinen Aufschub dulden!“ Beifälliges Gemurmel machte sich breit, als sich einer der Matrosen zum Kapitän durchdrängte um ihm leise eine Botschaft zuzuflüstern. Ungläubig riss dieser die Augen auf, „Was, der auch? Das kann ich nicht glauben!“ Ungeduldig winkte er mit der Hand ab und hielt den Matrosen auf, der sich schon wieder entfernen wollte „warte einen Augenblick“. Dann wandte er sich wieder an die Gruppe seiner Passagiere, „es sieht wohl so aus, dass noch jemand von der Mannschaft heute Nacht heimlich das Schiff verlassen hat. Was genau das zu bedeuten hat, lässt sich noch nicht sagen.“
Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch, „ich habe keine andere Wahl als euch anzubieten, hier an Bord zu verweilen und abzuwarten oder euch von meinen Leuten mit der Schaluppe an Land setzen zu lassen. Ich war zwar schon lange nicht mehr hier, doch zwischen der Insel Errhon und dem Festland existiert eine Fährverbindung und eine Gardekommandantur. Dort wird man euch mit Pferden und Wagen weiterhelfen können...“ „Und was ist mit unserem Geld!!“ fiel eine zerzauste alte Vettel dem Kapitän ins Wort, „wir haben die Passage teuer bezahlt!“ Zustimmendes Gemurmel machte sich breit, dass der Kapitän mit einer beschwichtigenden Geste im Keim erstickte. „Geht zum Zahlmeister mit euren Dokumenten und lasst euch euer Fahrgeld anteilig wieder ausbezahlen. Niemand will sich an eurem Ersparten bereichern.“ Damit wandte er sich an den Matrosen neben ihm, „Geh mit ihnen mit und sorg´ dafür, dass alles abläuft, wie ich gesagt habe und dann mach das verbliebene Beiboot fertig. Wer will, wird übergesetzt und dann warten wir.“ Damit verabschiedete er sich und ließ die Passagiere allein auf dem Oberdeck zurück.

Mit einem hässlichen Knirschen schabte der Rumpf der Schaluppe über den grauen Kies in der kleinen Bucht, als die sechs rudernden Matrosen das Boot endlich über die Dünung hinweg an den Strand manövriert hatten. Die gut zwei dutzend Passagiere, die den Boden der Insel Errhon betraten, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Doch es einte sie ein Ziel: Das atvianische Festland zu erreichen und eine zügige Weiterreise an ihren Bestimmungsort. Oder doch wenigstens in zivilisiertere Gegenden als diese, in der sie sich wiederfanden, kaum dass die Schaluppe wieder abgelegt und sie allein zurück gelassen hatte. Der kalte Spätwinterwind pfiff ihnen um die Ohren und die salzige Gischt perlte in Wassertropfen von ihren Hüten, Mänteln und Umhängen.

„Seht euch vor“, hatte der alte Matrose mit dem fehlenden Ohr ihnen rasch noch zugeraunt, „wandert nicht nachts über diese Insel! Hier gehen Dämonen um! Seht euch vor, übernachtet nicht in den Wäldern!“ Der strenge Blick des Bootsmanns hatte ihn zum Schweigen gebracht, ehe er ganz heran war, „Red´ nicht solchen Unsinn, Du alter Habicht und mach den Leuten keine Angst! Schaff´ Deinen Kadaver jetzt zurück ins Boot, bevor ich Dich hier lasse.“

Dann hatte er den Passagieren zum Abschied zugenickt und bald darauf war die Schaluppe in den salzigen Nebeln außer Sicht und die Reisenden vertrauen sich dem halb zugewachsenen Karrenweg an in der Hoffnung, er möge sie sicher zu ihrem nächsten Ziel führen.

(Für unsere Neulinge: Dies ist die Geschichte, wie ihr Atvia erreicht, und was unmittelbar geschah, ehe ihr euch auf den Weg gemacht habt. Mit der in-Time-Anreise werden wir hier anknüpfen.)

Dann sehen wir uns morgen in Atvia!

Eure Orga

 

 

 

 

 

 

 

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